Lückentelling und Kontexttelling: Warum Storytelling sinnlos ist
12/17/20242 min read
Ungesagte Worte können mehr ausdrücken als ein ganzer Roman.
~Helga Schäferling~
Zwei Worte zum Storytelling: Vergiss es.
Klassisches Storytelling beinhaltet laut Joseph Campbells Heldenreise einen 13-Schritte-Prozess, der vom Abenteuer-Start über Begegnung mit dem Ratgeber bis hin zum »Weiterreichen des Elixiers« geht.
Das ist nichts für uns (Sach-Texter). Es ist zu lang, zu aufwändig.
Der Prozess ist zwar zeitlos – aber was Sachtexte angeht, nicht effektiv - und schon gar nicht effizient!
Was machen?
Ich tüftelte. Dabei heckte ich zwei neue Sub-Kategorien des Storytellings aus.
Lass uns zu Punkt 13 springen, in dem ich dir das Elixier weiterreiche.
Effektive Autoren unterscheiden zwischen Lückentelling und Kontexttelling.
Lückentelling kann schon mit einem Satz anfangen. Im Kopf entsteht durch die Lücke eine Leerstelle, die der Leser mit einem Mini-Drehbuch füllt.
Vergleiche dazu die beiden unteren Satz-Kombinationen:
Der König starb. Danach starb die Königin.
Der König starb. Danach starb die Königin an Trauer.
An welchen der Sätze werden wir uns wohl länger erinnern?
Die erste Kombi ist ein Tatsachen-Bericht. Er ist nüchtern bis langweilig.
Nummer zwei ist interessanter, weil emotionaler.
Es läuft ein kleiner Film im Kopf ab. Der Leser will es sich erklären.
Lückentelling ist die minimalistischste Form des Storytelling.
Die größten Feinde des Lückentellings sind die beiden Wörter »weil« und »denn«.
Die Erklärung macht die Lücke dicht. Die Schlaufe ist geschlossen, die Neugier verpufft.
Setzt du aber vermehrt auf Punkte (statt auf Kommas), will der Geist des Lesers die Punkte verbinden.
Lückentelling kann jederzeit angewendet werden.
Um beim letzten Beispiel zu bleiben, könnte, darauf aufbauend, die (medizinische) Erklärung folgen, die das Broken-Heart-Syndrom erläutert.
Kommen wir zum Kontexttelling.
Das oberste Gebot beim Kontexttelling ist, dass die Story immer (symbolisch) für die Lektion steht. Die Geschichte muss dem Kontext dienen.
Das eigene Buch ist keine Show-Bühne. Der Leser ist der Star. Er ist der Held seiner eigenen Welt.
Der Leser investiert Zeit und Geld in deine Richtung, weswegen er es verdient, im Mittelpunkt zu stehen.
Das tut er, sobald er sich mit der Erzählung identifizieren kann.
Sofern du eine Geschichte erzählst, sollte sie immer(!) Symbol-Charakter besitzen. Sie soll helfen, die Lektion besser zu verstehen.
Alles andere hat keine Daseins-Berechtigung.
Wenn du (beispielsweise) eine Werbe-Agentur aufgebaut hast, ist die Gründungs-Geschichte nur relevant, wenn der Leser ebenfalls vorhat, eine solche Agentur aufzubauen.
Wenn dem so sein sollte, könntest du ihm nach der Story die wichtigsten Lehren mitgeben – und vor den gefährlichsten Stolperfallen warnen, damit er schaffen kann, was du geschafft hast.
Der Aufbau von Kontexttelling ähnelt dem Kapitel-Aufbau von Autoren wie Greene, Holiday, Miller und anderen:
Einleitungs-Geschichte
Lehre(n) aus der Einleitung-Geschichte
Praxistaugliches Fazit
Der Haupt-Unterschied liegt in der Wort-Anzahl: Kontexttelling darf höchstens 250 Wörter beinhalten, um die Botschaft effektiv rüberzubringen.
Alles, was du erzählst, kannst du auch in unter 250 Wörtern erzählen – jede Wette.
Kontexttelling eignet sich ideal als Kapitel/Artikel-Einleitung.
Aber auch für zwischendurch. Wenn du dich literarisch verirrst, dient dir Kontexttelling als Kompass.
Neben deinen eigenen Geschichten
eignen sich …
Anekdoten von und über andere,
Fiktionales, wie aus Filmen, Romanen oder Fabeln
und Geschichten aus der Geschichte
als Start-Punkt.
Konkrete Beispiele fürs Kontexttelling habe ich dir bereits letzte Woche geliefert:
Wodurch wurde Walt Disney gerettet?
Wie ist nochmal das Merchandise entstanden?
Welche Lehren hat Donald Miller er aus seinem Kino-Besuch gezogen?
* Das war ein Ausschnitt aus meinem aktuellen Buch Effective Nonfiction
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